Warum ich meine eigene Ubuntu-Distribution Starbuntu entwickelt habe

von Peter Starfinger, München, September 2022

 

Meine ersten Erfahrungen mit Linux (damals Knoppix mit KDE 3.5.9) liegen nun schon fast 20 Jahre zurück, und nach einer sechsjährigen Testphase parallel zu Microsoft Windows beschloss ich 2009, mich nur noch auf Linux, genauer Ubuntu, zu stützen. In den Folgejahren probierte ich einige Varianten aus: Kubuntu mit KDE 4, Lubuntu, Ubuntu Mate.

Auch wenn ich meinen Umstieg von Windows auf Linux nie bereut, sondern von Anfang an seine Stabilität, Quelloffenheit und seine Einladung zur digitalen Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geschätzt habe, gab es doch immer auch kleinere oder größere Anläasse mich über schlecht oder schlampig programmierte Software zu ärgern. Mal fehlten wichtige Features, mal stolperte ich über hartnäckige Programmfehler, die auch nach Jahren noch nicht korrigiert waren, mal musste ich enttäuscht feststellen, dass eine bestimmte von mir geschätzte Software gar nicht mehr weiterentwickelt wurde. Wenn z. B. der Dateimanager eigentlich das Plug & Play voll unterstützt, aber in Wirklichkeit den eingesteckten USB-Stick oft nicht erkennt oder dessen Inhalt unverständlicherweise erst nach Eingeben des Userpassworts anzeigt, kommt Frust auf. Oder wenn die Task-Leiste instabil ist und manchmal unversehens verschwindet oder plötzlich ihre Einstellungen verliert, sodass man alles wieder neu konfigurieren darf, steigert das die Freude nicht. Natürlich hofft man auf das nächste Upgrade, oft aber auch vergebens. Mich wundert schon, wie beharrlich so mancher Bug jahrelang nerven darf. Da fragt man sich schon, was manche Software-Entwickler eigentlich machen.

Noch etwas stieß mir mehr und mehr auf, nämlich die zunehmende Selbstherrlichleit der Ubuntu-Entwickler, was einerseits das sang- und klanglose Einmotten geschätzter und andererseits den Einbau überflüssiger ressourcenverschwendender Software betrifft. Warum verbannt man z. B., angeblich aus Sicherheitsgründen, das bewährte Paket gksu als praktische GUI des Terminalbefehls sudo und verpflichtet den User stattdessen zum Gebrauch des viel umständlicheren weil konfigurationssüchtigen Befehls pkexec? Oder warum will man dem User plötzlich die Containersoftware-Ideologie von snap mit all ihren Nachteilen bzgl. Laufzeit, Platzbedarf und Sicherheit aufzwingen? Von der leidigen Unity-Diktatur ganz zu schweigen!

Vor diesem Hintergrund beschloss ich im Herbst 2019, eine eigene, nur noch auf den Ubuntu-Kern aufsetzende Distribution, nämlich Starbuntu, zu entwickeln. Einserseits trieb mich die pure Neugier, und die Herausforderung reizte mich. Andererseits wollte ich die angesprochenen Fehlentwicklungen meiden, bei der Auswahl verfügbarer Software möglichst gewissenhaft vorgehen, und dort, wo mich die Software nicht überzeugte oder erst gar nicht vorhanden war, eigene Programme schreiben. Dabei war und ist meine Hauptmotivation durchaus auf mich selbst und nicht auf die Community bezogen: endlich keine faulen Kompromisse mehr machen zu müssen, sondern das, was ich mir von einer guten Desktop-Umgebung wünsche, einfach selbst umzusetzen. Das geht nämlich nur in der eigenen Werkstatt, nicht am fremden Produkt!

Nach der Einrichtung des X-Window-Systems (damals noch alternativlos) stellte sich das erste Problem: welchen Fenstermanager nehmen? Ich hatte schon viele ausprobiert, konservative wie exotische, ohne oder mit Schnickschnack (z. B. andockbare, wackelnde oder ex- und implodierende Fenster), mehr oder weniger stabil. Schließlich entschied ich mich für OpenBox, den Weltmeister in den Disziplinen Schlichtheit und Stabilität, denn ich wollte keinen Paradiesvogel, sondern Zuverlässigkeit!

Die nächste Kardinalfrage war die Wahl eines guten Dateimanagers. Ausschlaggebend war hier, welchen Spielraum ich hatte, ihn nach meinen Vorstellungen "aufmotzen" zu können. Nach längerer Suche fiel meine Wahl auf den ROX-Filer, einen wunderbaren leichtgewichtigen, superschnellen und nach eigenem Gusto fast beliebig erweiterbaren Dateimanager, der zwar zunächst viel Konfigurationsaufwand erfordert, diesen aber später doppelt und dreifach zurückzahlt. Die hochgezüchteten Konkurrenten bieten m. E. keine große Modulierfähigkeit. Obendrein bringt der ROX-Filer gleich noch eine konfigurierbare Desktopverwaltung mit.

Die meisten Taskleisten (Panels) werden im Verbund mit einer ganzen Desktop-Umgebung angeboten: das MATE-Panel, das LXDE-Panel, das XFCE-Panel usw. Daher kamen sie für mich nicht infrage, denn ich wollte bei der Wahl einer Taskleiste unabhängig sein. Auch hier ließ ich mich von den beiden Kriterien Schlichtheit und Stabilität leiten. Natürlich sollte sie auch ansprechend aussehen, allerdings ohne so überflüssige Features wie ein 3D-Design oder auf den Mauszeiger reagierende hüpfende Icons. So entschied ich mich schließlich für Tint2, eine absolut fehlerfreie und zuverlässige, aber auch ansprechende Leiste, und habe diese Wahl nie bereut.

Einige Entscheidungen für eine geeignete Software waren nahezu alternativlos wie z. B. das Libreoffice-Paket oder die Ebook-Verwaltung von Calibre, andere basierten auf persönlichen Erfahrungen oder Vorlieben und sind sicherlich diskutabel. Eine Übersicht über die Bord-Software (GUI) von Starbuntu findet sich hier.

Nun wäre eine selbstentwickelte Linux-Distribution nicht unbedingt existenzberechtigt, würde sie sich in einer mehr oder weniger willkürlichen Zusammenstellung bekannter Software, vielleicht noch verziert mit nettem Design, erschöpfen. Ihr würde nämlich der eigene Stallgeruch fehlen, das Alleinstellungsmerkmal, das sich nicht nur in einer individuellen Gestaltung (Themes, Hintergrundbilder usw.), sondern vor allem in einer selbstgeschriebenen Lücken füllenden Software findet.

Die Notwendigkeit für eine solche Software zeigte sich mir an vielen Stellen, von denen einige beispielhaft erwähnt seien:

Ich denke, erst durch diese und viele weitere Programmierarbeit ist Starbuntu zu einer Distribution gereift, in der Einfachheit, Klarheit, Übersichtlichkeit, Praxistauglichkeit, aber auch Schönheit realisiert sind.

Hinweis: Die vielen GUI-Dialoge in meinen Programmen hätte ich ohne das hervorragende GTK+-Dialog-Programm yad (yet another dialog) von Victor Ananjevsky nie realisieren können. Dafür gebührt ihm mein ewiger Dank.

Peter Starfinger